April 2025

Gibt es einen Unterschied zwischen „Change“ und „Transformation“?

Von Ruth Seliger

Wenn, ja: worin könnte er liegen?

Wir leben in interessanten Zeiten, alles verrutscht: Werte, Strukturen, Glaubenssätze, Allianzen, Grenzen. Zwei Begriffe kursieren in diesem Zusammenhang in Organisationen und auch in der öffentlichen Diskussion: Change und Transformation. Beide Begriffe werden abwechselnd verwendet und beschreiben irgendetwas mit „Veränderung“. Mich treibt die Frage, ob es sinnvoll wäre, einen Unterschied zu markieren und eine „Sinn-Grenze“ zu ziehen?

Versuch einer Definition

In der systemischen Beratung beschäftigt man sich mit Veränderungen von Organisationen. Wir hantieren täglich mit Begriffen wie Veränderung, Change, Transformation, Entwicklung, Wandel. In dem Wust an Definitionen haben sich zwei Begriffe herausgeschält, die zwei unterschiedliche Dimensionen von Veränderung markieren:

Veränderungen erster Ordnung
damit sind in der Beratung Veränderungen gemeint, die sich innerhalb der bestehenden Muster von Prozessen und Interaktionen des Systems ereignen. Veränderungen erster Ordnung sollen eine Optimierung oder Reparatur des Systems bewirken. Die Organisation soll besser im Sinne ihrer Ziele und Möglichkeiten werden, indem man an einzelnen Schrauben dreht, etwa an der Zahlenschraube.

Veränderungen zweiter Ordnung
beschreiben die Veränderungen von Mustern, die ein System durch Wiederholungen von Abläufen herausgebildet hat. Muster sind wie Trampelpfade, die sich durch häufiges Gehen bilden, und irgendwann als der einzig mögliche Weg erscheinen, und niemand kommt mehr auf die Idee, es könnte noch andere Wege geben. Muster sind hilfreich, denn sie reduzieren die Komplexität und haben Sinn. Aber mit der Zeit können sie dysfunktional und zum Problem werden. In diesem Fall muss man Muster verändern. Musterwechsel werden als Change bezeichnet. Solchen Prozessen unterziehen sich Organisationen nicht aus Jux und Tollerei, sondern erst dann, wenn Veränderungen erster Ordnung keine Verbesserungen bewirken, wenn die Organisation mit ihrem Latein am Ende ist. Ein Musterwechsel ist immer auch ein Lernprozess, in dem Organisationen ihre funktionalen und dysfunktionalen Muster erkennen können.

Veränderungen dritter Ordnung
beschreiben eine Veränderung der hinter den Mustern der Interaktionen liegenden Konstruktionen: Welt- und Menschenbilder, Grundwerte und Prinzipien, die den „Bauplan“ der Autobahnen bilden. Transformation bedeutet einen Paradigmenwechsel. Solche Umbrüche finden wir nicht nur in Organisationen. Derzeit findet die gesellschaftliche Transformation von Welt- und Menschenbildern rund um die Begriffe „Aufklärung“, „Demokratie“ und „Freiheit“ statt, in deren Mittelpunkt die Idee des „Individuums“ steht.

Beispiele für die drei Ebenen von Veränderung

Auf der Ebene von Personen. Ziel: ein besseres Leben genießen.

  1. Veränderung erster Ordnung – Optimierung: die Wohnung schöner einrichten, das Geld anders einteilen, meditieren, gesund ernähren, bessere „Work-Life-Balance“.
  2. Veränderung zweiter Ordnung – Musterwechsel: Reflexion der eigenen Verhaltensmuster, von Prioritäten und Zielen, die das Handeln leiten. Reflexion solcher Muster kann der Beginn von Musteränderungen sein.
  3. Veränderung dritter Ordnung – Transformation: Reflexion von Identität, Sinn, Selbstbild, dem eigenen Platz in der Gesellschaft. Solche Transformationen werden oft durch Traumata, schockierende Erfahrungen oder auch Erkenntnisse ausgelöst, aus denen man als „ein anderer Mensch“ hervorgeht.

Auf der Ebene von Organisationen. Ziel: Die Organisation soll erfolgreicher werden.

  1. Veränderung erster Ordnung – Optimierung: Einsparungen: kürzere Wege in der Produktion, schnellere Maschinen, weniger Personal, neue Produkte, neues Marketing.
  2. Veränderung zweiter Ordnung – Musterwechsel: Struktur- und Kulturveränderungen, neue Formen der Kooperation und Interaktion, neues Verständnis von Führung und Entscheidung. Musterveränderungen sind ein schwieriger Weg, weil sie mit einem „Ent-Lernen“ gut eingeübter Muster verbunden sind. Das wollen nicht alle und sie tragen das nur mit, wenn ein lohnendes Ziel mit der Musterveränderung verbunden wird.
  3. Veränderung dritter Ordnung – Transformation: Der Paradigmenwechsel beginnt oft damit, dass sich rundherum alles ändert und wenn diese Veränderungen ein neues Verständnis der Organisation erfordern. Das setzt ein Bewusstsein für die kontextuelle Verbundenheit mit der gesellschaftlichen Umwelt voraus: Organisationen können sich nicht länger als abgegrenzte Systeme mit ihren eigenen Aufgaben verstehen, sondern müssen die wechselseitige Abhängigkeit mit ihrer gesellschaftlichen Umwelt verstehen und darauf reagieren. Die Organisation verändert sich mit der Gesellschaft und umgekehrt.

Auf der Ebene der Gesellschaft. Am Beispiel Nachhaltigkeit.

  1. Veränderung erster Ordnung – Optimierung: „Technologie-Offenheit“, E-Autos, „grüner Treibstoff“, Recycling, Müll sammeln, neue Gesetze und Verordnungen, weniger Plastik, weniger Schadstoff-Ausstoß.
  2. Veränderung zweiter Ordnung – Musterwechsel: „die Politik“ greift in Muster gesellschaftlichen Handelns ein: Limitierung, Kontingentierung, Verzicht. Versuche zu erklären, zu überzeugen, Bewusstsein schaffen, Aufwertung der Wissenschaft, neue Kriterien der Besteuerung, neue Messkriterien.
  3. Veränderung dritter Ordnung – Transformation: Reflexion und gesellschaftlicher Diskurs zu den Grundprinzipien und Glaubenssätzen der (westlichen) Gesellschaft:
    a) das aus der Aufklärung stammende Menschenbild des „freien“, „selbstbestimmten“ und „vernunftfähigen“ Individuums, das sich nicht einschränken (lassen) will und keine Grenzen will (außer gegenüber jenen, die die eigene Freiheit zu bedrohen scheinen)
    b) die aus der neoliberalen Konzeption von Wirtschaft stammende und über die gesamte Welt verbreitete Idee der Grenzenlosigkeit – von Wachstum, individuellen Rechten, Reichtum, Ressourcen
    c) das aus dem technischen Zeitalter stammende Bild der Planbarkeit und Machbarkeit der Welt, der Zukunft, der Steuerung von Prozessen der Gesellschaft.

Transformation bedeutet: diese tief in uns allen verwurzelten Glaubenssätze zu hinterfragen. Es geht um einen fundamentalen Paradigmenwechsel. Es sind heute gerade die Zerstörer von Demokratie und Menschenrechten, von Werten gesellschaftlichen Zusammenlebens, die den Anstoß für einen Paradigmenwechseln geben, indem sie unsere vertrauten Glaubenssätze bis zur Karikatur verzerren. Wer die Transformation in eine Zukunftsidee lenken will, sollte den zerstörerischen Kräften genau auf die Finger schauen und lernen: Welche Hinweise geben sie uns, wo man ansetzen muss, um gesellschaftliche Werte zu erhalten oder zu verändern?

Was „ist“ jetzt also Transformation?

Unsere Sprache suggeriert, dass Transformation einen „Gegen-Stand“ beschreibt, ein „Ding“, das man erkennen könnte. Aber Transformation ist kein „Ding“, sie entsteht durch Tätigkeiten von Menschen, die etwas – sich selbst, ihre Organisation, die Gesellschaft – verändern. Es gibt nur den Prozess des Transformierens.

Transformierungsprozesse sind weder leicht, noch lustig oder friedlich, sondern von Konflikten und Krisen getragen: etwas Altes geht zu Ende, etwas Neues ist noch nicht da, und genau zwischen diesen beiden Bewegungen entsteht ein ungeordneter, unmarkierter, in alle Richtungen offener Raum, und „in diesem Interregnum kommt es zu den unterschiedlichsten Krankheitserscheinungen.“(1)

Einige dieser gesellschaftlichen Krankheitserscheinungen, die Gramsci meint, ist der Versuch, alte Prinzipien wie Demokratie, Menschenrechte, Freiheit einerseits blind zu zerstören, andererseits sie aber auch blind zu verteidigen.

Die Zukunft ist vollkommen unbekannt, oder?

In der Ungewissheit der Zukunft retten wir uns in Visionen, Vorstellungen, Träume. Zumindest das haben wir.

Ich möchte zwei Gedanken vorstellen, die mir tröstlich erscheinen und ein wenig Orientierung geben:

  • Dirk Baecker vermutet, dass die „nächste Gesellschaft“ nicht mehr an den „großen Entwürfen“, den „großen Gesten“(2) und langen Strecken ausgerichtet sein könnte, sondern sie „wird in all ihren Strukturen auf das Vermögen fokussiert sein, einen jeweils nächsten Schritt zu finden und von dort aus einen flüchtigen Blick zu wagen auf die Verhältnisse, die man dort vorfindet.“(3)
  • Der Gehirnforscher Joachim Bauer fand heraus, dass das menschliche Gehirn „in entscheidender Weise auf Kooperation und Zuwendung ausgerichtet“(4) ist, und das ist das Ende des Menschenbildes des einsamen Homo Oeconomicus.

Das wäre der Ausblick: gemeinsam kleine Schritte gehen, gemeinsam erfahren, was sich wie zeigt. Das ist doch schon etwas. Transformation ist ein Weg.

(1) Antonio Gramsci: Gefängnishefte Nr. 3, S. 354, Argument Verlag, Hamburg 2012

(2) Armin Nassehi: Kritik der großen Gesten. C.H.Beck Verlag, München 2024

(3) Dirk Baecker: Studien zur nächsten Gesellschaft. Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main, 2007

(4) Joachim Bauer: Das Prinzip Menschlichkeit. Warum wir von Natur aus kooperieren. Hoffmann und Campe Verlag, Hamburg 2006, S. 69